Seit Bestehen der AfD müssen frühere Zugehörigkeiten zu anderen Parteien und insbesondere Mitgliedschaften in extremistischen Parteien und Organisationen angegeben werden. Ebenso lange ist an das Unterlassen die Sanktion des Widerrufs der Parteimitgliedschaft geknüpft. Und seit Anfang 2013 war dies nie ein besonderes Thema in der Partei. Das hat sich aus aktuellem Anlaß geändert: Seit dem Widerruf der Parteimitgliedschaft des bisherigen Landesvorsitzenden von Brandenburg und Bundesvorstandsmitglied Andreas Kalbitz wird nicht nur über den konkreten Fall diskutiert, sondern auch über den gesamten Satzungspassus. Dieser Artikel nimmt diese Diskussion zum Anlaß, die Aufnahmevoraussetzungen und die Zulässigkeit des Widerrufs bzw. der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgehend von der heutigen Satzungslage zu beleuchten. Ferner werden im Bereich der Satzungshistorie einige – teils hanebüchene – Behauptungen widerlegt.
Vorweg: Wer kann überhaupt AfD-Mitglied werden?
Um AfD-Mitglied werden zu können, muß eine natürliche Person das 16. Lebensjahr vollendet haben und die politischen Grundsätze und die Satzung der Partei anerkennen. Der Anwärter darf dabei die Amtsfähigkeit, die Wählbarkeit oder das Wahlrecht nicht aberkannt bekommen haben (§ 2 Abs. 1 BS). Der Anwärter darf – kurz gefaßt – auch nicht Mitglied einer konkurrierenden Partei sein (§ 2 Abs. 3 BS). Und zuletzt heißt es in § 2 Abs. 4 S. 1 BS:
„Personen, die Mitglied einer extremistischen Organisation sind, können nicht Mitglied der Partei sein.“
Für den Augenblick der Aufnahmeentscheidung ist dies eine absolute Hürde. Sie gilt gleichwohl nur für aktuelle Mitgliedschaften in extremistischen Organisationen. Wer zu einem früheren Zeitpunkt Mitglied einer extremistischen Organisation war, kann sehr wohl Mitglied der Partei werden, allerdings nur unter sehr strengen Voraussetzungen, die in § 2 Abs. 5 BS verankert sind:
„Personen, die Mitglied einer der in Absatz 4 bezeichneten Organisationen waren, können nur Mitglied der Partei werden, wenn sie darüber im Aufnahmeantrag Auskunft geben und der zuständige Landesvorstand sich nach Einzelfallprüfung mit Zweidrittel seiner Mitglieder für die Aufnahme entscheidet.“
Bis zum 31. Januar 2015 war für diese Einzelfallprüfung im übrigen der Bundesvorstand zuständig, der dann mit einfacher Mehrheit zu entscheiden hatte (§ 2 Abs. 3 BS (2013)).
Der Widerruf
Die Sanktion für die Nichtangabe ist im § 2 Abs. 6 BS geregelt:
„Verschweigt ein Bewerber bei seiner Aufnahme in die Partei eine laufende oder ehemalige Mitgliedschaft in einer in Absatz 4 bezeichneten Organisation, gilt ein gleichwohl getroffener Aufnahmebeschluß als auflösend bedingt, mit der Maßgabe, daß der Wegfall der Mitgliedschaft erst ab Eintritt der Bedingung stattfindet. Auflösende Bedingung ist die Feststellung des Verschweigens durch Beschluß des zuständigen Landesvorstands oder des Bundesvorstands. […]“
Diese etwas umständliche Formulierung folgte auf die weniger verschnörkelte Fassung, die sich bis zum 31. Januar 2015 im § 2 Abs. 4 BS (2013) fand:
„Verschweigt ein Mitglied bei seiner Aufnahme in die Partei eine laufende oder ehemalige Mitgliedschaft in einer nach Abs. 3 als extremistisch eingestuften Organisation oder leugnet diese, kann der Bundesvorstand die Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung aufheben.“
Beide Konstruktionen stellen satzungsseitige Ausformungen der Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung dar, § 123 Abs. 1 1. Var. BGB. Das allgemeine Zivilrecht und insbesondere die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Willenserklärungen gelten selbstverständlich auch in Parteien (Ipsen, ParteienG, § 10 Rn. 8), soweit nicht durch spezielle Regelungen anderes gilt. Eine solche spezielle Regelung ist insbesondere § 10 Abs. 4 Parteiengesetz, der festlegt, unter welchen Voraussetzungen ein Mitglied aus der Partei ausgeschlossen werden kann: „Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.“ Diese Regelung ist grundsätzlich abschließend (Lenski, ParteienG, § 11 Rn. 80), wobei umstritten ist, ob Mitglieder durch Fiktionen von Mitgliedslisten gestrichen werden können. Die AfD-Satzungswelt kennt etwa die Streichung aufgrund von Beitragsschulden nach fruchtlos durchlaufenem Mahnverfahren (vgl. § 6 Abs. 3 BS). Die bisweilen angenommene „Sperrwirkung“ (Lenski, a.a.O.) verkennt allerdings, daß ein Parteiausschluß auf Grundlage des § 10 Abs. 4 ParteienG in Verbindung mit den jeweils gültigen Satzungsregelungen stets am Fehlverhalten eines Mitglieds anknüpft und dabei auf eine Pflichtenstellung abstellt. Die Grenze wird also durch den Beginn der Mitgliedschaft markiert – und während einerseits Handlungen vor Beginn der Mitgliedschaft nicht unmittelbar Pflichtverletzungen i.S.d. § 10 Abs. 4 ParteienG sein können, entfaltet dieser umgekehrt keine Schutzwirkung. (Risse, Der Parteiausschluß, S. 116)
Sofern die Partei sich also nach dem Vorleben des Anwärters erkundigt, ist der Widerruf der Aufnahmeentscheidung im Rahmen der Satzung und der Vorgaben des § 123 Abs. 1 BGB grundsätzlich zulässig. (Ossege, Das Parteienrechtsverhältnis, S. 313) Zwei zeitliche Grenzen zieht das BGB: Die Anfechtung – hier: durch Erklärung des Bundes- oder zuständigen Landesvorstands – muß nach § 124 Abs. 2 BGB innerhalb eines Jahres nach Kenntnis über den Irrtum und das arglistige Handeln erfolgen (Ellenberger in: Palandt, § 124 Rz. 2 a)). Nach zehn Jahren ist die Anfechtung ausgeschlossen, § 124 Abs. 3 BGB.
Historische Satzungslage und Unvereinbarkeiten
Die Satzung der AfD unterliegt seit 2013 einem steten Wandel. Die für den Fall Kalbitz einschlägigen Normen sind dabei in ihrem inhaltlichen Kern konstant geblieben: Die veränderte Ausprägung der Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung ist oben bereits beschrieben. Im übrigen gibt es im wesentlichen eine Satzungsänderung, die immer wieder für Falschbehauptungen sorgt: Vor dem Jahr 2015 gab es keine Unvereinbarkeitsliste – richtig! –, deshalb habe es auch keine Unvereinbarkeiten gegeben – das wiederum ist grundfalsch. Bis zum 31. Januar 2015 hat die Partei vielmehr automatisch die Einschätzungen der Verfassungsschutzämter übernommen. § 2 Abs. 3 BS (2013) lautete:
„Personen, die Mitglied einer Organisation sind, welche durch deutsche Sicherheitsorgane als extremistisch eingestuft wird oder die Mitglied einer Organisation waren, welche zum Zeitpunkt der Mitgliedschaft durch deutsche Sicherheitsorgane als extremistisch eingestuft wurde, ohne dass diese Einschätzung rechtskräftig von den Gerichten aufgehoben ist, können nur Mitglied der Partei werden, wenn sie darüber im Aufnahmeantrag Auskunft geben und der Bundesvorstand sich nach Einzelfallprüfung für die Aufnahme entschieden hat.“
Um festzustellen, welche Organisationen unvereinbar waren, müssen also die Veröffentlichungen der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern konsultiert werden. Dies geht mittlerweile sehr komfortabel: Unter www.verfassungsschutzberichte.de hat die Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. die Berichte seit 1993 gesammelt und in gut recherchierbarer Form aufbereitet.
Die hartnäckigsten Zweifler kommen zuletzt mit einer ganz steilen These um die Ecke: Vor dem Bundesparteitag am 14. April 2013 habe es gar keine Bundessatzung gegeben. Das ist natürlich absurd. Auch wenn dieser Parteitag öffentlichkeitswirksam als „Gründungsparteitag“ gefeiert wurde, so fand die tatsächliche Parteigründung natürlich am 6. Februar 2013 in kleinem Kreis statt – und ohne Satzung gibt es keine Partei. Die „Ur-Satzung“ von dieser Gründungsveranstaltung wurde im April nur in wenigen Punkten verändert, der für diese Frage entscheidende Punkt blieb unverändert. Für Aufnahmen Anfang März 2013 galten also keine anderen Voraussetzungen als für alle anderen Aufnahmen bis zum 31. Januar 2015.
TL;DR / Kurz-Fazit
Die einseitig vorgetragenen Argumente gegen die Anwendung der Widerrufsklausel überzeugen nicht. Vielmehr ergibt eine systematische Herangehensweise, daß gerade der Umkehrschluß aus § 10 Abs. 4 ParteienG eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zuläßt. Wenn dann ein Anwärter im März 2013 Mitgliedschaften in von Verfassungsschutzbehörden als extremistisch eingestuften Organisationen nicht angibt, kann der Bundesvorstand bis zu zehn Jahre lang die Mitgliedschaft mit Wirkung für die Zukunft widerrufen – seit 2015 technisch gelöst über den Eintritt einer „auflösenden Bedingung“.